Coburger Lebensmittelindustrie im Wandel der Zeit
Massenkonsum und Lebensmittelindustrie
Aufgrund des technischen Fortschritts in den 1920er Jahren erlebte die Massenproduktion von Konsumgütern einen Aufschwung, besonders im Nahrungs- und Genussmittelgewerbe im Raum Coburg. Ein bedeutender Meilenstein war die Einführung der Fließbandfertigung durch Henry Ford im Jahr 1913 in den USA. Diese Entwicklung beeinflusste die Fleischbranche in Coburg frühzeitig, die bereits 1880 den ersten Schlachthof des Herzogtums errichtete, gefolgt von einem weiteren in Neustadt bei Coburg 1939. Diese infrastrukturellen Maßnahmen förderten die Gründung von fleischverarbeitenden Betrieben, darunter die Expansion der Metzgerei von Tobias Großmann zu einer Fleischwarenfabrik, bekannt für ihren geräucherten Delikatess-Saftschinken, der auch international exportiert wurde.
Entwicklung der Massenproduktion in Coburg
Die Fließbandfertigung führte auch im Molkereiwesen zu einem Industrialisierungsschub. Nach der Gründung kleinerer Zentralmolkereien in den Jahren 1909 und 1918 entstand 1928 in Coburg der Milchhof, die größte Milchsammelstelle der Region. Diese Initiative zielte darauf ab, die Milchverwertung für die Landwirte zu verbessern und die Qualität der Molkereiprodukte im Landkreis zu standardisieren. Dieses Konzept war erfolgreich, und bis 1951 erreichte die angelieferte Milchmenge 20 Millionen Liter. Der Milchhof entwickelte sich über Jahrzehnte zum erfolgreichsten lebensmittelverarbeitenden Betrieb im Raum Coburg und fusionierte 1980 mit anderen Zentralmolkereien zu den Milchwerken Oberfranken West, die seit 1993 in Wiesenfeld ansässig sind.
Auch das Bäckerhandwerk profitierte von der zunehmenden Massenproduktion. 1927/28 ließ der Bezirkskonsumverein in Coburg eine Großbäckerei errichten, deren Produkte in den Filialen des Konsumvereins verkauft wurden. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden sämtliche Konsumgenossenschaften aufgelöst, darunter auch der Coburger Bezirkskonsumverein. Seine Großbäckerei wurde von der Wehrmacht übernommen und diente fortan der Versorgung der Soldaten. Nach Kriegsende 1945 wurde das Betriebsgebäude zerstört, und die Lebensmittelproduktion vor Ort eingestellt. Das Fabrikgelände fand danach anderweitige industrielle Nutzung. Zeitgleich mit der gesteigerten Nachfrage nach Backwaren entstanden industrielle Mühlenbetriebe im Landkreis Coburg, darunter die Mühle Reißenweber in Großheirath, die größte Handelsmühle in Oberfranken, und die Mühle Carl in Scherneck, die seit 2021 zur international tätigen IREKS-Firmengruppe gehört.
Kaufhäuser als Medium des Massenkonsums
Die Vielseitigkeit des Industriezweiges spiegelte sich auch in Konservenfabriken der Region wider, wie der von „Emmerling & Pfister“ in Neuses, die Marmeladen, Gelees, Honig sowie Konserven für Obst, Gemüse, Gurken und Sauerkraut herstellte, darunter das Coburger Original „Gurken-Alex“.
Ein Symbol des aufkommenden Massenkonsums waren die Kaufhäuser. Bereits 1902 eröffnete der Conitzer-Konzern aus Ostpreußen ein solches Haus in Coburg, das eine breite Palette an Waren zu erschwinglichen Preisen anbot. Diese Kaufhäuser waren schon frühzeitig innovativ, führten das Bargeldsystem ein, gewährten Rabatte und nutzten moderne Werbestrategien wie Modeschauen und Lichtbildreklamen. Sie standen allen sozialen Schichten offen. Da viele dieser Unternehmen in jüdischen Händen lagen, wurden sie nach 1933 von den Nationalsozialisten geschlossen oder „arisiert“. Das erfolgreiche Geschäftsmodell erlebte jedoch nach 1945 eine Wiederbelebung.